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"Wie ich zur Letzten Generation gekommen bin"- Statement einer Klimakleberin

  • Autorenbild: Felicia Graubner
    Felicia Graubner
  • 11. Okt. 2023
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 17. Nov. 2023

Am Anfang eines jeden Prozesses kann eine sogenannte Einlassung vorgetragen werden. Dadurch kriegt die angeklagten Person die Chance, sich ausführlich zur Sache zu äußern, wegen der sie vor Gericht steht. Ich will diese (anonyme) Einlassung mit euch teilen, um euch die Möglichkeit zu geben, nachzuvollziehen, warum sich Menschen auf die Straße kleben.


Sekundenkleber

"Ich hatte eine behütete und glückliche Kindheit. Ich wünsche mir dasselbe für alle Kinder dieser Welt – die schon geborenen und auch die, die in 100 Jahren noch geboren werden. In meiner Familie war die Diskussion und die Bildung einer eigenen Meinung ein sehr hohes Gut. Meine Schwester und ich wuchsen mit hitzigen Debatten über Gott und die Welt am Esstisch auf. Ich war als Kind weder auf Demonstrationen, noch äußerten meine Eltern sich eindeutig zu politischen Richtungen. Stattdessen wurde uns nahegelegt, uns selbst zu informieren, vertrauenswürdige Quellen zu finden und unsere eigenen Schlüsse über Politik und Co zu ziehen. Wir sollten alles kritisch hinterfragen und nichts als Selbstverständlichkeit hinnehmen. Das Zeitung-Lesen beim Frühstück war schnell eine Selbstverständlichkeit für mich. Dadurch wurde mir schon früh bewusst, dass auch unsere Demokratie nichts Selbstverständliches ist. Dass die meisten Menschen keine so sichere Umgebung, deutlich weniger Chancen im Leben – kurz: einfach deutlich weniger Glück im Geburten-Lotto hatten, als ich.

Zuerst habe ich in der Schule nach Antworten auf die Frage gesucht, wie man mit dieser Ungerechtigkeit umgehen soll. Ich hatte Spaß an der Schule und am Lernen, aber irgendwann hat mir das nicht mehr gereicht. Denn alle Diskussionen, die dort geführt wurden, blieben an der Oberfläche. So entschied ich mich mit 15, etwas von dem Glück, dass ich bis dahin hatte, teilen zu wollen und habe angefangen, mich bei Unicef zu engagieren. Schnell habe ich gemerkt, dass ein Großteil der Probleme direkt oder indirekt mit der Klimakrise zusammenhängt. Gesundheit, Bildung, das Recht auf unversehrte Entwicklung – so viele Kinderrechte werden durch die Klimakatstrophe eingeschränkt! Das brachte mich dann mit 16 Jahren zu der Grünen Jugend und zur Nachhaltigkeitsinitiative des Landes Baden-Württemberg. Damals entschied ich mich auch, nie wieder Fast Fashion zu kaufen oder mich in ein Flugzeug zu setzen. Aber weder durch den Erfolg der Grünen bei den Europawahlen damals noch die Aufklärungsarbeit über nachhaltigen Konsum brachten die Gesellschaft einer gerechten Welt näher. Im Gegenteil, die Rechten werden stärker, die Schere zwischen Arm und Reich größer. Als die Klimastreiks aufkamen, fing ich an, mich für Fridays For Future zu engagieren und neue Hoffnung keimte in uns jungen Menschen. An meiner Schule startete ich regelmäßig Aktionen, um mehr Leute zu den Streiks zu motivieren und verbrachte noch mehr Zeit mit Engagement in allen möglichen Bereichen. Jetzt oder nie, war der Gedanke.


Klimaprotest

Schließlich wurden Klimastreiks zur Normalität, genau wie Dürren, Waldbrände und die AfD im Bundestag. Als ich dann umzog, habe ich das als einen Neustart gesehen. Ich wollte mein Engagement überdenken und im Studium der Umweltnaturwissenschaften neue Ansätze für eine bessere Welt finden. Dabei habe ich versucht, von vielen unterschiedlichen Seiten an das Thema eines besseren Lebens für alle heranzugehen. Um unsere Demokratie zu schützen, gebe ich Workshops für „Aufstehen gegen Rassismus“. Ich versuche durch gewerkschaftliches Ehrenamt den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken und gemeinsam mit Betrieben Lösungen für eine sozial-ökologische Transformation zu erarbeiten. Ganz neu in Freiburghabe ich die BUND-Jugend Ortgruppe mitgegründet, um jungen Menschen einen niederschwelligen Eintritt in ökologische Themen zu bieten. Ich sitze für Campusgrün im Studierenden-Rat und im Landesvorstand, um auf kleinerer und größerer hochschulpolitischer Ebene eine neue Generation kritischer und sich der aktuellen Probleme bewusster Studierenden zu unterstützen. Ich gebe vhs-Kurse zum Thema ÖPNV und Workshops zu Themen rund um die Klimakrise in ganz Baden-Württemberg. Ich habe bei der Initiation des Klimaentscheids Freiburg mitgewirkt und ich schreibe einen Blog, der sich mit sozialen und ökologischen Themen befasst. Ich organisiere Vernetzungstreffen für nachhaltige Initiativen in Freiburg, habe die Hochschultage für Nachhaltigkeit sowie Ersti-Akademie und Kritische Einführungstage bei der Organisation unterstützt. Durch die Leitung des Unicef Junior-Teams Freiburg setzte ich mich gemeinsam mit Teenager*innen mit Kinderrechten und wie wir diese schützen können, auseinander. Auf Bundesebene setze ich mich durch die Entwicklungszusammenarbeitsorganisation ONE dafür ein, dass wir unseren gerechten Beitrag zur Sicherheit unseres Planeten leisten. Nun bin ich schon seit über drei Jahren an die 60 Stunden in der Woche mit ehrenamtlichen Tätigkeiten beschäftigt.


Aber das, was wirklich zählt, ist das, was sich durch die harte Arbeit so vieler Aktivisti auf der ganzen Welt verändert. Kriegt der Klimanotstand, der unser aller Existenz bedroht, die gebührende Aufmerksamkeit. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass dies nicht der Fall ist. Ich sehe die Fortschritte, die Fridays For Future und so viele andere engagierte Menschen gemeinsam erreicht haben. Aber sie sind keinesfalls verhältnismäßig und erst recht nicht ausreichend! Während der Corona-Krise hat man sehen können, wie normalerweise bei einer Krise gehandelt wird. Schnell und mit zum Teil massiven Änderungen der Lebensrealität. Aber auch die Klimakrise fordert schon jetzt jedes Jahr in Deutschland, Europa und weltweit unzählige Menschenleben und bedroht und zerstört Lebensgrundlagen und Existenzen, aber die notwendigen Maßnahmen bleiben aus. Ich habe durch mein Engagement Menschen kennengelernt, die schon vor 50 Jahren dieselben politischen Maßnahmen gefordert haben, wie die jungen Menschen heute. Deswegen ist es nur selbstverständlich, dass irgendwann die Frage aufkommt, was wir sonst noch machen können, um die Dringlichkeit der Klimakatastrophe zu verdeutlichen. Und so bin ich zur Letzten Generation und auf die Straße gelangt - weil ich keinen anderen Weg mehr gesehen habe, alle milderen Mittel ausgeschöpft waren.


BUNDJugend auf Klimastreik in Freiburg


Ich gehe mit meiner Familie seit meiner Geburt jedes Jahr an denselben Ort in Südfrankreich, um Ferien zu machen. In dem malerischen Dorf in den Bergen wollen wir einfach nur die Natur genießen. Die ersten 15 Jahre hat das super geklappt. Doch ab einem gewissen Punkt wurden die Auswirkung des Klimawandels mit jedem Jahr sichtbarer. Das erste Jahrhundert-Hochwasser des kleinen Dorfbaches, das Geländewägen und Gartenhütten mit sich riss, ließ uns im Sommer eine verwüstete Landschaft vorfinden. Der erste Waldbrand meines Lebens in Sichtweite unseres Dorfes und die Angst, so vieles durch diese Naturgewalt zu verlieren. Das Geräusch von Löschflugzeugen über unseren Köpfen und die ständige Bereitschaft, ins Auto zu springen, um den Flammen zu entfliehen, wurde in den letzten Jahren Lebensrealität. Was für uns in Freiburg noch unvorstellbar ist, wurde dieses Jahr in den Ferien ein Dauerthema: Das erste Mal gab es über längere Zeit kein Trinkwasser mehr. Die Furcht, an einem Sonntag in keinem offenen Laden mehr Wasser zu finden, war für mich eine komplett neue Erfahrung. Unsere 90jährige Nachbarin – eine leidenschaftliche Gärtnerin, die normalerweise den Großteil ihrer Nahrung aus dem eigenen Garten bezieht – empört sich, dass sie dieses Jahr das erste Mal in ihrem langen Leben fast nichts zu ernten hat. Alles tot. Die Pflanzen verbrannt von der nicht enden wollenden Hitze.

Leute aus Kenia, Spanien oder Kambodscha könnten sicher noch ganz andere Geschichten darüber erzählen, was Klimakrise bedeutet. Dass sie real ist, schon längst da, und vor allem lebensbedrohlich.



Ich habe lange nachgedacht, ob ich mich der Letzten Generation anschließe. Ob ich diese Aktionsform für die Richtige halte. Dafür habe ich zurückgeschaut, auf all das, was ich selbst schon versucht habe und auf all das, was so viele Leute vor mit versucht haben. Auf meine Schulzeit und die Fragen, die mir dort nicht beantwortet wurden. Ich habe mich umgeschaut und die vielen Menschenleben gesehen, die durch die Klimakrise bedroht sind. Und ich musste an die Inhalte meines Studiums denken. Die vielen Stunden, die unsere Professor*innen uns in wissenschaftlicher Ausführlichkeit die erschreckenden Ausmaße der Klimakrise erklärt haben. Die Statistiken, mit den Zahlen, Balken und Kurven, alle rapide steigend und im roten Bereich. Fragen Sie sich bitte ehrlich: Wie hätten Sie sich an meiner Stelle entschieden? Für mich gab es nur eine richtige Antwort: Angesichts der aktuellen Situation, in der wir uns befinden und aufgrund der Katastrophe, auf die wir zusteuern, wäre es verantwortungslos, diese Chance nicht zu ergreifen. Es wäre verantwortungslos, nicht alles zu versuchen, was ich mit meinem Gewissen vereinen kann, um das zu schützen, was mir am meisten am Herzen liegt. Das Leben und die Demokratie. Beides ist in einer Welt mit Erwärmungen von 4 – 5 Grad nicht möglich!


Ich hatte und habe mit meinem Engagement nicht den Anspruch, die Welt zu retten. Auch die letzte Generation in Deutschland wird dieser großen Aufgabe nicht gerecht. Was aber die Welt verändern kann, ist, wenn wir alle die Hoffnung nicht aufgeben und stattdessen jede Person von uns das zu einem positiven Wandel beiträgt, was in ihrer Macht steht – in jedem Dorf, auf der ganzen Welt! Ich sah meinen Platz in der weltweiten Bewegung für eine bessere Welt eine Zeit lang bei der Letzten Generation und bin noch immer der Ansicht, dass mein Handeln nicht verwerflich war. Ich hoffe sehr, ich und Sie alle finden Ihren Platz in diesem für uns alle und zukünftige Generationen so wichtigen Lebenskampf!"




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