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Grenzen setzen im Aktivismus

  • Autorenbild: Felicia Graubner
    Felicia Graubner
  • 20. Sept. 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 14. Okt. 2023

Wenn man im Leben viel Zeit mit ein und derselben Sache verbringt, taucht irgendwann die Sinnfrage auf. Besonders häufig passiert das in Zeiten, in denen uns für unsere Leidenschaft außergewöhnlich viel abverlangt wird. Beim Aktivismus ist das nicht anders. Workshops zu den Themen Burnout oder Stressresilienz im Aktivismus sind deswegen auch besonders gefragt. Wir stellen uns gemeinsam die Frage „Wie weit darf Aktivismus gehen?“ „Welches Maß an Engagement ist angemessen, um das Wohl aller zu verteidigen? Und ist das überhaupt notwendig?“


Felicia Graubner mit ONE in Berlin

Warum engagiert ihr euch?

Am Anfang möchte ich euch eine Frage stellen: Warum engagiert ihr euch? Und damit meine ich im großen Ganzen. Für wen oder was opfert ihr so viel Zeit und Nerven, wenn ihr auch das große Geld machen oder ganz viel Freizeit haben könntet? Die Beweggründe, die euch zum Aktivismus gebracht haben, können sehr stark variieren. Jede Person hat ihre eigene Geschichte, die sie dazu gebracht hat, sich zu engagieren. Aber das oberste Ziel vereint alle Aktivist*innen: Es geht darum, so vielen Lebewesen wie möglich ein besseres Leben zu ermöglichen und deswegen das Gute auf der Welt zu fördern. Ihr seid bei Amnesty International aktiv? Ihr wollt Menschen vor Menschenrechtsverletzungen schützen. Ihr seid bei Fridays For Future? Ihr wollt nicht, dass der Planet nicht mehr lebenswert ist, Menschen ihre Heimat verlieren oder den Hitzetod sterben. Wo auch immer ihr engagiert seid, was auch immer euer Herzensthema ist, ihr wollt dadurch eure Werte vertreten. Gerechtigkeit, Respekt, Solidarität, … all diese Werte - von denen ich hoffe, dass meine Leser*innenschaft sie besitzen - dienen dazu, euch und andere glücklicher zu machen. Utilitaristisch formuliert, wollen wir die Summe allen Leids auf dem Planeten minimieren.


unser Planet Erde

Wie engagiert ihr euch?

Ein besseres Leben für alle, das sagt sich so einfach. Die unendliche Vielfalt an Gruppen zeigt schon, dass es nicht das eine Rezept dafür gibt. Wir haben nur begrenzte Ressourcen, für was setzt man sich also ein? Für Klimaschutz? Für Kinderrechte oder Jugendpartizipation? Impfungen gegen Malaria oder doch lieber Geflüchtetenhilfe am Mittelmeer? Und dort hören die Fragen noch nicht auf. Habt ihr euch für ein Thema entschieden, taucht sofort die Frage der Aktionsformen auf. Denn auch hier gibt es nicht die eine Art und Weise sich für sein Anliegen einzusetzen. Es gibt Menschen, die sich für den Journalismus entscheiden oder Bildungsarbeit, um möglichst viele Leute der Themen bewusst zu machen. Bestimmte Organisationen sammeln fast hauptsächlich Spenden, andere organisieren Demonstrationen oder Podiumsdiskussionen. Eine andere Aktivistin entscheidet sich, einer Partei beizutreten und Gesetze zu erlassen. Und der andere endet mit einer Hand auf der Straße festgeklebt. Auf all diese Fragen gibt es keine richtige oder falsche Antwort. Jede Person findet ihren eigenen Weg, das Ziel zu erreichen, das doch bei allen dasselbe ist. Und nur durch alle diese unterschiedlichen Ansätze ist Veränderung überhaupt möglich. Denn so wird an allen Ecken und Ende zusammen in die richtige Richtung gezogen.


Unicef Junior-Team Freiburg

Welche Rolle spielt ihr dabei?

Habt ihr euch für einen Weg entschieden, wird es erst richtig interessant. Denn daraus ergibt sich eure individuelle Rolle im Kampf gegen Ungerechtigkeit und Leid. Und wie wir uns alle schmerzlich bewusst sind, ist diese meistens unglaublich klein. Ein Ast eines Baumes auf der Bühne des größten Theaterstücks der Welt. Dich das ist nicht schlimm und bedeutet auch nicht, dass euer Engagement weniger wichtig für unseren Planeten ist. Trotzdem muss man sich dessen meine Meinung nach bewusst sein. Die meisten von uns werden keine Kings, Gandhis oder Thunbergs. Obwohl ich Kapitalismus kacke finde, werde ich jetzt mal ganz ökonomisch argumentieren, und zwar mit einer Kosten-Nutzen-Abwägung. Der Schauspieler, der den Ast hinten links am mittleren Baum spielt, wird nicht sein ganzes Leben damit verbringen, für diese Rolle zu proben. Wenn er einmal zur falschen zeit kurz wackelt, wird das Stück dadurch nicht maßgeblich gestört. Und genau dasselbe gilt auch für euer Ehrenamt. Wenn ihr einmal nicht zur Demo kommt, wenn ihr einmal einen Workshop absagt oder ihr ein Jahr lang die Welt erkundet und dabei die Politik komplett links liegen lasst, spielt gar keine so große Rolle. Die Welt geht deswegen nicht unter, nicht mal ein kleines bisschen! Aber das eigentlich Wichtige ist der Umkehrschluss. Drei Jahre durcharbeiten bis zum Burnout schaden euch enorm. Ihr habt eine schlechte Zeit und eventuell bleibende gesundheitliche Schäden. Und der gesellschaftliche Nutzen, der in diesen drei Jahren entstanden ist, war er es wirklich wert?


Burnout durch Klimaaktivismus

Entstehen dadurch Wiedersprüche?

Nun entsteht die Situation, dass das Leben, das ihr eigentlich schützen wolltet, für euch schlechter geworden ist. Wie ihr euch engagiert, hat also doch Auswirkungen. Und zwar in der Art, wie ihr dabei mit euch selbst umgeht. Und dabei muss man gar nicht im Burnout enden. Das fängt schon damit, dass man die Hobbies oder Leidenschaften für den Aktivismus aufgibt. Eventuell hat man keine Zeit mehr für die Menschen, die einem wichtig sind. Vernachlässigt so zentrale Bedürfnisse wie eine ausgewogene Ernährung oder regelmäßige Bewegung. Kurzum, das eigene Leben wird schlechter. Aber hattet ihr nicht das Ziel, allen Menschen auf der Welt ein besseres Leben zu ermöglichen? Und gehört ihr da nicht auch selbst dazu? Selbstverständlich haben Aktivisti in anderen Teilen der Welt mit ganz anderen Situationen zu kämpfen und häufig keine andere Wahl als sogar ihr Leben zu riskieren, um ihre Lebensgrundlagen zu erhalten. Aber daraus zu schließen, dass privilegierte Personen ihr Leben im Kampf für eine bessere Welt zwangsweise schlechter machen müssen, ist ein Kurzschluss. Denn es ist nicht einmal garantiert, dass dies dann auch wirklich zum Erfolg führt (die Kosten-Nutzen-Bilanz ist negativ).

Wofür sich diese Argumentation allerdings nicht verwenden lässt, ist es gar nichts zu tun. Wer jetzt denkt, „Alles klar, dann kauf ich jetzt einfach wieder Fast Fashion bis zum geht nicht mehr, fahre Auto, wann und wo ich will, und fliege zwei Mal im Jahr nach Malle….“ Dann würde ich erwidern, ob sicher ist, dass all diese Dinge wirklich glücklicher machen - das Leben also ohne dies wirklich schlechter wird. Eine bewusste Lebensweise und nachhaltiger Aktivismus bereichern meiner Auffassung nach das eigene Leben sogar eher und haben gleichzeitig noch einen winzig kleinen positiven Effekt auf die Umwelt.


Campusgrün Freiburg beim CDS 2023

Und jetzt?

Der Anlass, diesen Artikel überhaupt erst zu schreiben, waren einige Aktivisti der Letzten Generation. Die Menschen, die sich regelmäßig für Klimagerechtigkeit auf die Straße setzen, halte ich für bewundernswert und stark. Grundsätzlich unterstütze ich die Letzte Generation auch. Doch in meinem Umfeld entdecke ich inzwischen ein Maß an Selbstzerstörung, das mich besorgt. Traumatisierung durch Gewalterfahrungen, der Schmerz durch die vielen körperlichen Verletzungen, die komplette Zerstörung der eigenen Zukunft… Ich frage mich, ist es das wert? Natürlich ist das alles im Vergleich zur Klimakatastrophe, die auf uns zu rast, nicht das größte Übel. Aber der Erfolg der Bewegung bleibt im Moment noch aus und wird meiner Meinung nach höchst wahrscheinlich nie groß genug sein, um das Leid, das die Aktvisti gerade erfahren, angemessen auszugleichen.

Engagiert euch für eure Herzensthemen! Gebt alles euch Mögliche, wenn ihr dazu bereit seid. Aber mehr auch nicht. Nur so könnt ihr euch langfristig an den kleinen Erfolgen erfreuen und zieht Kraft aus dem Engagement anstatt konstant Kraft zu verlieren, bis sie irgendwann alle ist.


Und schreibt doch gerne mal in die Kommentare, wie ihr zum Engagement gekommen seid und ob ihr mit meinem obersten Engagement-Ziel einer Meinung seid.

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