Unsere Retter
- Felicia Graubner
- 11. Jan. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Nov. 2023
Wie Jugendbücher das Patriarchat untermauern.

Eine kleine Abenteuerszene zum Einstieg: Die weibliche Hauptrolle – nennen wir sie Ranya - wird von irgendwelchen Bösewichten verfolgt. Sie setzt sich mit coolen Karatetritten zur Wehr, springt mutig über eine Schlucht und überlistet den Großteil ihrer Verfolger:innen durch ein Ablenkungsmanöver. Die meisten hat sie abgehängt, doch dann das: Ranya rennt in eine Sackgasse! Hinter ihr tauchen zwei bedrohliche Gestalten auf, beide stark bewaffnet. Sie weiß, sie hat keine Chance zu entkommen. Verzweifelt sieht sie sich um, auf der Suche nach einem Wunder. Gerade bereitet sie sich auf ihr Ende vor und denkt an ihre Liebsten. Doch da kommt das Wunder. Und zwar in Form von Alexander, der die zwei Bösen unerwartet von hinten angreift und ausschaltet. Ranya fällt ein Stein vom Herzen, ihr Geliebter hat sie gerettet! Ende gut- alles gut, würde ich da sagen, oder?
Das klingt jetzt vielleicht etwas überspitzt, aber denkt mal an eure Jugendbücher und Filme. Ich zumindest habe in meiner Teenie-Zeit Fantasy-Romane verschlungen und die haben- nicht übertrieben- genauso geklungen wie der erste Abschnitt hier. Was bei mir da mehr oder weniger unterbewusst ankam: Egal wie stark, klug oder mutig du als Frau bist, ohne Mann an deiner Seite schaffst du's nicht. Und ich entschuldige mich im Vorhinein, dass ich hier die binären Geschlechtervorstellungen nutzen werde, aber in diesen sind leider immer noch die meisten Filme und Bücher verfasst. Ich habe mich auch ganz deutlich als die weibliche Rolle identifiziert und ich schätze, so geht es immer noch den meisten weiblich-gelesenen Personen. Aber statt hier jetzt die nächsten 10 Gender-Debatten anzufangen, zurück zum heutigen Thema: Ich habe dann nach ungefähr 5 Jahren übermäßigen Konsums solcher Stories festgestellt, wie stark ich dieses Modell schon verinnerlicht hatte. Ich erwischte mich dabei, wie ich mich in besonders spannenden Szenen damit beruhigte, dass eh gleich der Geliebte auftauchen wird und alles rettet. Kein Wunder, denn unser Gehirn ist darauf getrimmt, alles einmal Gelernte auf ähnliche Situationen anzuwenden. Und das aus allen Sinnesreizen, also egal, ob in der realen Welt oder der fiktiven.
Aus zwei Gründen finde ich das bei Jugendbüchern besonders problematisch. Zum einen habe ich diese Bücher in einer Zeit gelesen, die für meine Entwicklung sehr entscheidend war: Die sagenumwobene Pubertät. Also in einer Phase, in der ich mir vor allem darüber klar werden musste, was die Veränderungen an meinem Körper bedeuten. Ich wurde „zur Frau“ und was das für mich heißt, habe ich aus allen mir zugänglichen Quellen versucht zu erfahren. Und da mich Geschichten mit männlichen Retter-Rollen dabei immer begleitet haben, haben diese sicher auch ihren Teil zu meinen Rollenvorstellungen beigetragen. Das größte Problem war dabei sicher, dass es mir nicht klar war. Erst Jahre später wurde ich mir dieser Muster überhaupt bewusst und konnte anfangen, sie in Frage zu stellen.
Zweitens sind Geschichten eine besonders mächtige Art, Wertvorstellungen zu vermitteln. Wir identifizieren uns mit den Charakteren, vergleichen uns unbewusst mit ihnen und suchen nach Parallelen zu unserem Leben. Ich habe früher fast ausschließlich Bücher mit weiblichen Hauptrollen gelesen und fand die Ich-Form am ansprechendsten. Wenn mir die Person nicht sympathisch war, konnte ich mit dem Buch nichts anfangen. Alles Voraussetzung, um mich besonders gut in die Rolle hineinversetzen zu können, richtig eins mit ihr werden zu können. Sie sind unsere Held:innen. In diesem Fall waren meine Heldinnen attraktiv und von Männern begehrt. Das hat sie glücklich gemacht und letztendlich gerettet. Selbst meine Heldinnen waren nicht in der Lage, sich im Ernstfall alleine zu behaupten. Immer brauchten sie letztendlich einen Retter. Außerdem lösen Geschichten Gefühle in uns aus. Wir haben mit den Charakteren Angst, sind traurig oder einsam. Ist es dann immer eine männliche Person, die uns beschützt, tröstet oder als einzige da ist, wenn es darauf ankommt, verbinden wir irgendwann all diese positiven Gefühle mit dem stereotypen Mann. Unser Gehirn sucht sich wieder die offensichtlichsten Zusammenhänge aus.
Ein Einwand, der mir öfter begegnet: Es geht hier ja nicht um das typische heterosexuelle Paar, das glorifiziert wird, sondern vielmehr darum, soziale Werte zu vermitteln. Die message sei nur, dass wir nicht allein mit unseren Problemen seien, sondern auch um Hilfe bitten können. Dann frage ich mich, warum nicht auch mal die Mutter, der Bruder oder die Freundin zur Hilfe geeilt ist. Meistens sind es in den Jugendbüchern sogar die engsten Vertrauten, die die Heldin im Stich lassen oder sogar verraten. Am Schluss bleibt laut meiner Erfahrung immer nur der Boyfriend. Manche von euch fragen sich jetzt vielleicht, was ich für trash-Bücher gelesen habe und finden, dass ich da doch selber schuld sei. Bin ich wohl, denn ich bin einfach in den kleinen Buchladen bei uns in der Nähe und habe mir gefühlt alle Bücher aus der Jugendabteilung geschnappt, die von jungen Mädchen handelten. Ich hätte natürlich mit meinen 13 Jahren die Buchhändler:in nach feministisch eingestellten Autor:innen fragen können… Nein quatsch, ihr habt sicher auch gemerkt, dass das von Kindern und Jugendlichen nicht erwartet werden kann! Denn wie gesagt: Ich war mir dieses Problems ja noch gar nicht bewusst. Also wie kann es sein, dass viele Mädchen in ihrer Findungsphase solchen veralteten und herabwürdigenden Rollenvorstellungen ausgesetzt sind?! (Diesmal ist ausnahmsweise mal nicht social media der Bösewicht )
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